Offener Brief an Minister Pinkwart
RWE ist es offenbar gelungen, die zuständigen Stellen für ein beschleunigtes Planungsverfahren für den Tagebau Hambach zu bewegen, ohne dass die Endergebnisse eines in Auftrag gegebenen Gutachtens abgewartet werden. Um gegen dieses Vorgehen zu protestieren, haben wir uns mit einem offenen Brief an NRW-Wirtschaftsminister Pinkwart gewendet. Hier der offene Brief im Wortlaut:
Tagebauplanung Hambach: Warum unterstützen Landesregierung, Bergbehörde und Bezirksregierung ohne Not RWE bei voreiliger und riskanter Planung?
Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Pinkwart,
wir sind entsetzt über ein aus unserer Sicht höchst fahrlässig erscheinendes Planungsverfahren im Braunkohlenausschuss (BKA) zum Tagebau Hambach und der Einleitung eines Scopingverfahrens auf Basis von Vorratsbeschlüssen des BKA, dem noch nicht einmal die Zeit gegeben wird, weder ein wichtiges Gutachten für die Massenberechnungen notwendiger Sicherungsmaßnahmen der Tagebaukanten vollständig erarbeiten und vortragen zu lassen noch die im bisherigen Zwischenbericht vorgestellten Varianten eingehend prüfen zu lassen.
Der Reihe nach: Nach unserer Kenntnis anhand der Recherche Presseartikel und BKA-Veröffentlichungen sind folgende Aktivitäten und Entscheidungspunkte zu verzeichnen
- Arbeitskreis Hambach: Vorstellung Zwischenbericht zu den Gutachten zur Massengewinnung für den Tagebau Hambach am 26.11.2021 in nicht-öffentlicher Sitzung
- Rodung Bochheimer Wald am 01.12.20121: RWE erweckt über Kölner Stadt-Anzeiger den Eindruck, das Gutachten, das im Arbeitskreis Hambach vorgestellt wurde, bestätige die Alternativlosigkeit zur RWE-Planung
- Braunkohlenausschuss: Vorstellung Zwischenbericht zu den Gutachten zur Massengewinnung für den Tagebau Hambach am 13.12.2021 – besonders zu erwähnen: Gutachten betrachtet 3 Varianten als Planungsoptionen (A: Tagebaukante alte A4-Trasse / B: Tagebaukante vor Kirche Manheim / C: ursprüngliche RWE-Planung Manheimer Bucht). Im weiteren Verlauf Herbeiführen einer Vorratsentscheidung durch die Bezirksregierung ohne finales Gutachten und Betrachtung der im Zwischenbericht vorgestellten Planungsvarianten
- Änderung des Braunkohlenplans Hambach Teilplan 12/1 – Vorschlag für den Untersuchungsrahmen der Strategischen Umweltprüfung, fertiggestellt am 16.12.2021 (3 Tage nach BKA!) (Scopingverfahren): Das Verfahren startet auf Basis der BKA-Vorratsentscheidung am 25.01.2022.
- Die nächste Sitzung des Braunkohlenausschusses soll am 24.06.2022 stattfinden.
Parallel zu den Planungsdiskussionen im BKA finden Diskussionen um Vorschläge der Neuland GmbH statt, deren Mitglieder aus den Anrainer-Kommunen und RWE bestehen. Beispielhaft erwähnt seien die so genannten Seeterrassen vor Elsdorf. Diese sollen 25 ha groß werden und müssen vom Tagebaugrund hinauf mit gleichen Profilen angeschüttet werden, wie die übrigen Kanten. Laut dem Gutacher Herr Denneborg ist der Massenbedarf der Seeterrassen bisher noch nicht konkretisiert worden. Wir stellen uns entsprechend die Frage, ob die Seeterrassen ein kühner Traum ohne Chance auf Realisierung wegen nicht vorhandener Massen bleiben, oder ob die Seeterrassen fest eingeplant und nur die Ausweisung/Berechnung der erforderlichen Massen vergessen wurden. Da wir hier über einen von uns grob ermittelten Bedarf von zusätzlichen ca. 200 Mio Kubikmetern Massenbedarf ausgehen, wäre die Auswirkung auf die Tagebauplanung erheblich. Darüber hinaus stellt sich die
Frage, ob ein Verlust von 6 Quadratkilometern Fläche auf Kerpener Seite zur Gewinnung von Massen vertretbar ist, wenn gleichzeitig 25 ha bei Elsdorf künstlich mit enormem, auch energetischem Aufwand angeschüttet werden sollen.
Es entsteht der Eindruck, dass mit aller Gewalt weit im Vorfeld der Landtagswahl NRW (Mai 2022) eine Tagebauplanung durchgewunken werden soll, die primär das Ziel hat, die RWE-Kosten der Rekultivierung gering zu halten und stattdessen die Folgen für die Kolpingstadt Kerpen und deren Bürger*innen durch leichtfertige, ewig bleibende Zerstörung des kostbaren Raums von 6 Quadratkilometern sowie die Aufgabe der allseitig gewünschten Waldvernetzung der Bürgewälder in Kauf zu nehmen. Kerpen würde massiv in seinen Chancen eines nachhaltigen Strukturwandels beschränkt - für Sand und Kies, der auch aus dem Tagebau (Innenkippe, Alternativkonzept Ansev) gewonnen werden könnte. Für Sand und Kies, der aktuell auch als Baumaterial veräußert und nicht zur Sicherung der Kanten verwendet wird.
RWE und geneigte Unterstützer fürchten anscheinend politische Veränderungen nach der
Landtagswahl und ein mögliches Entscheidungsvakuum während des Wahlkampfes.
Dabei ist der Auftrag der Landesregierung, sich zum Wohle der Bürger*innen einzusetzen. Gleiches gilt für die Bezirksregierung und gewählte bzw. durch Berufung eingerichtete Gremien, wie dem BKA. Gesetzt den Fall, Landesregierung, Bezirksregierung und Gremien kämen diesem Auftrag nach, wäre es ihre Pflicht, das vollständige Gutachten abzuwarten, sich mit allen Ergebnissen und Details auseinanderzusetzen und eine Risikoabwägung hinsichtlich einer Entscheidung von derart großer Tragweite zu treffen – immerhin geht es um eine auf ewig zu gestaltende veränderte Landschaft und Nutzung. Aus unserer Sicht gehört in diese Betrachtung auch die Prüfung der Machbarkeit der Restseen. Noch ist völlig unklar, ob diese technisch überhaupt umsetzbar sind. Die Grundannahme, dass diese geschaffen werden sollen, scheint den Verantwortlichen in Kommunen und Land aber ausreichend als Basis für die Gestaltung der Tagebaugrenzen zu sein. Uns als Vertreterin der Zivilgesellschaft hat bis heute weder der Energiekonzern RWE noch die Landesregierung und nachgelagerte Behörden nachweisen können, dass die in der Leitentscheidung getroffenen Annahmen zu den Restseen auch nur annähernd umgesetzt werden können. So bezweifeln Wissenschaftler und Experten das Ausreichen von Rheinwasser zur Befüllung, die Wasserqualität (Hinweis: Bei Explosionskatastrophe in Leverkusen gelangten nicht-klärbare Insektizide ins Rheinwasser – zusätzlich zu immer vorhanden Pharmarückständen und Mikroplastik). Die Situation wird sich durch die Klimakrise und zunehmender Niedrigpegelstände weiter verschärfen. Auch ist nach unserer Kenntnis die technische Umsetzung der Rheinwasserleitung für Hambach und Garzweiler ungeklärt. Können in ausreichendem Maße Generatoren für die erforderliche Pumpleistung installiert werden und gibt es ausreichende Kapazitäten für eine ausreichende Klärung des Rheinwassers vor Einleiten in die Restlöcher? Und wie lange sind die Restseen nach Befüllung aufgrund Versickerung und Verdunstung nachzubefüllen – reicht hierfür das auch zukünftig geringer werdende Rheinwasser?
Wäre es nicht richtig, diese Grundvoraussetzungen als wesentliche Risikofaktoren zu analysieren, bevor RWE sogar noch weitere Flächen zerstört, die Grube noch vergrößert, statt, wie von Ansev vorgeschlagen, den Bedarf an Wasser zu verringern?
Wie erklären Sie, Herr Pinkwart, der Öffentlichkeit diese in keiner Weise nachvollziehbare Eile beim Durchwinken von für die Gesellschaft mit hohen Nachteilen versehenen und für die Zukunft höchst risikobehafteten Planung?