"Bewahre uns davor, deine Schöpfung auszubeuten"
Diese Bitte an Gott äußerten etwa 80 Teilnehmende an einem Gottesdienst in der Lutherkirche in Buir mit anschließendem Pilgerweg in den Hambacher Wald am Samstag, den 14. Oktober. Organisiert waren Gottesdienst und Pilgerweg von der Evangelischen Studierendengemeinde Aachen, der Evangelischen Kirche zu Düren, dem Kirchenkreis Jülich und der Initiative Buirer für Buir.
In einer beeindruckenden Predigt appellierte Superintendent Jans Sannig an alle Christinnen und Christen, aber auch die verantwortlichen in Politik und Wirtschaft, dem Auftrag Gottes an den Menschen, die Schöpfung zu bewahren, gerecht zu werden. Hier der Wortlaut der Predigt:
"Liebe Pilgergemeinschaft
Immerath, Sophienhöhe, Hambacher Wald.
Heute also die dritte Station einer Pilgerreise im Jahr der Reformation durch die Region der Tagebaue. Diese riesige, von Menschenhand geschaffene unwirkliche Welt, in der der Mensch in Jahrzehnten zerstört, was über Jahrtausende von Jahren gewachsen war. Landschaft, Böden, Wälder. Heimat. Kulturgut. Unwiederbringlich vernichtet zum Wohle der Allgemeinheit heißt es.
Mir im Ohr noch die Worte des Försters auf der Sophienhöhe: »Jetzt sehen sie mal, was man Tolles durch Rekultivierung schaffen kann«. Als ob wir es dem Schöpfergott gleich tun könnten.
Sicher, tausend Hektar Wald, aufgeforstet, 120 Kilometer Wanderwege sind eine beeindruckende Bilanz der letzten 30 Jahre. Aber 8500 Hektar Urwald vernichtet, Tausende Menschen aus ihren Heimatdörfern vertrieben, die Atmosphäre und das Klima durch den gigantischen CO² Ausstoß nachhaltig beschädigt, tausende Opfer durch Luftverschmutzung und Erosion von Giftstoffen.
Menschen sind tief betroffen und bewegt, wenn sie Ihre Heimat verlieren. Die Kirche in Immerath, liebevoll „Dom genannt“, wird in wenigen Wochen, spätestens Monaten endgültig abgerissen sein. nachdem sie schon vor Jahren entwidmet wurde. Ein weithin sichtbares Sinnbild für den Wahnsinn, der hier mit der Abbaggerung der Braunkohle betrieben wird.
Unwiederbringlich wird hier ein Stück Kulturgut, ein weit sichtbares Zeichen für Heimat vernichtet. Eine Kirche, die den Menschen durch immer schon bewegte Zeiten Heimat, Hort, Stütze und Orientierung im Glauben gewesen sein wird. Dem Wort Gottes Ort und Zeit, Raum und Mitte geben hat.
Hier haben Menschen an den Wendepunkten ihres Lebens, bei der Geburt ihrer Kinder, bei der Besiegelung ihrer Liebe, beim Abschied ihrer Liebsten Angehörigen erfahren, die Nähe und den Trost Gottes.
Hier waren die Menschen verwurzelt und haben Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit erfahren und gelebt.
Hier haben die Menschen erfahren von der Befreiung und Freiheit jedes Menschen, haben mutig zugesprochen bekommen ohne Angst und Hass zu leben und zu lieben, zu vergeben und zu verzeihen.
Soll das nichts wert gewesen sein, dass wir es dem Raubbau an unserer Erde, opfern?
Das Gespräch mit dem Landwirt Josef Porz lässt mich nicht los. Sein Schmerz über den Verlust seines Hofes, der über dreihundert Jahre von Generation zu Generation weitervererbt wurde. Einfach vorbei. Mit welchem Recht?
Und jetzt hier, bei uns, zwischen Buir und Morschenich: die letzten Reste eines einst stolzen Eichen – Heinbuche Walds. Jagdrevier Karl des Großen. Durch ein Abkommen der Fürsten mit den Bewohnern der Dörfer ringsum vor Privatisierung geschützt, Ein Wald, der allen Leben und Nahrung und Holz spenden sollte. Bis zur Entscheidung, hier Braunkohle zu fördern. Dann sind solch Jahrhunderte alten Versprechungen nichts mehr wert.
Das schreit zum Himmel und Gott hört unser Seufzen und Wehklagen, sieht unsere Tränen. Das ist gewiss.
Wir pilgern auch heute an einem ganz besonderen Ort.
Hier im Revier des Rheinischen Braunkohletagebau.
An diesem Ort, an diesen gigantischen Löchern mit seinen gigantischen Kraftwerken entscheidet sich die Zukunft unserer Welt.
Hier entscheidet sich, ob es uns gelingt, den CO2 Ausstoß drastisch zu senken und damit das Klima weltweit zu verbessern.
Die Menschen zahlen einen hohen Preis für die Verschmutzung unseres Klimas. Sie bezahlen mit dem Verlust ihrer Heimat. Ihrer Gesundheit. Ihr Schmerz und ihre Tränen sin die Stumme Anklage gegen eine Ökonomie, die immer mehr will. Ein genug nicht kennt.
Die gigantischen Löcher und die gigantischen Kraftwerke stehen wie ein Monument eines Wirtschaftens von Gestern, das für eine Gesellschaft von Morgen keine Zukunft haben kann, will die Menschheit ein gutes Leben für alle gewinnen.
Denn wir wissen es längst: Umweltgüter wie Luft und Gewässer tolerieren Übernutzung und Verschmutzung nur eine Weile, aber nicht auf Dauer.
Obwohl sie es besser wissen müssten, beschwören alle Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft weiter einen ungebremsten Wachstumskurs. Auch jüngst wieder die neu gewählte Landesregierung. Wo bleibt der Mut der politisch Verantwortlichen auszusprechen, dass es so, wie bisher nicht weitergehen kann und ein Umdenken gefordert ist, für das politische Vorgaben gegeben werden?
Wir wissen längst, dass es so nicht weitergehen kann.
Wir wissen längst, dass die Antworten der letzen dreißig Jahre - also die Maßgaben der Ökonomie und der Wirtschaftswissenschaft der letzten Generation - nicht die Antworten für die nächste Generation, für die nächsten dreißig Jahre sein können. Wir wissen das längst.
Als Christinnen und Christen wissen wir das seit dreißig Jahren. Seit wir den Konziliaren Prozess für Frieden und Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung 1983 in Vancouver begonnen haben.
Oder glauben wir wirklich wir könnten die nächsten dreißig Jahre ungebremstes Wachstum haben bei der Endlichkeit aller notwendigen Ressourcen?
Glauben wir wirklich, dass wir noch weitere dreißig Jahre, also bis 2040 und länger hier Braunkohle fördern und verbrennen können und gleichzeitig den CO2 Ausstoß in Deutschland um 95% reduzieren könnten? So wie es auf dem Klimaabkommen von Paris vereinbart worden ist.
Glauben wir wirklich, wir können noch dreißig Jahre die Märkte und Meere Afrikas ausbeuten, Zäune ziehen und die Menschen davon abhalten, sich das zum Leben zu holen, was wir ihnen in unserer Habgier geraubt und verweigert haben?
Glauben wir wirklich, wir können noch dreißig Jahre mit Waffengewalt die Erde befrieden, den Kampf um Rohstoffe führen und uns in Sicherheit wiegen?
Produktion, Konsum und Lebensstile müssen so verändert werden, dass die globalen Treibhausemissionen im Verlauf der kommenden Dekade auf ein absolutes Minimum sinken und klimaverträgliche Gesellschaften entstehen müssen. Das Ausmaß des vor uns liegenden Übergangs ist kaum zu überschätzen.
Diese Entwicklung ist unverzichtbar, denn die gravierenden sozialen und ökologischen Schäden weltweit durch die Förderung und Verbrennung von Kohle in einem Ausmaß wie an diesem Ort hier, sind längst nicht mehr zu übersehen.
Die Flüchtlinge, die wegen des Klimawandels und der Klimakatastrophen ihre Länder verlassen, machen sich jetzt erst auf den Weg. Sie werden in den nächsten Jahren auf die EU Außengrenzen treffen.
Um eine noch gefährlichere Klimaerwärmung zu verhindern, wird deshalb ein Großteil der fossilen Energiereserven in der Erde bleiben müssen.
Insgesamt wird Europa nach dem heutigen Kenntnisstand rund 90 % seiner Kohlevorkommen nicht nutzen können.
Im weltweiten Vergleich aber fördert kein anderes Land so viel Braunkohle wie Deutschland.
Im Rheinland soll nach Vorstellungen von RWE noch Jahrzehnte Braunkohle abgebaut werden. Das ist nicht verantwortbar.
Ein Ende des Abbaus muss beschlossen werden. Heute schon. Nicht erst in 15 oder 20 Jahren.
Die Sinnlose Zerstörung von Heimat und Kulturlandschaft muss gestoppt werden, ein Strukturwandel für die Region auf den Weg gebracht werden, der bewahrt, was es an Jahrhunderte lang gewachsenem sich hier bewährt hat und der klimaverträglich die Zukunft der Region voranbringt.
Wir verbrauchen mehr, als uns die Schöpfung an Ressourcen zur Verfügung stellt. So betreiben wir Raubbau an Natur und Mensch. Diese Wirtschaft tötet.
Der Hambacher Wald, dieser kümmerliche, aber schützenswerte Rest eines eins stolzen, riesigen ungebrochenen Waldes, er könnte ein Symbol werden für das Klimaabkommen von Paris.
Und Gott der HERR nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte.
Bewahrt als ein Zeichen: Wir haben verstanden. Bewahrt als ein Zeichen für die Vernunft des Menschen, die über seine Unvernunft siegt.
Auf unserem Pilgerweg heute wollen wir dafür Beten.
In Praxis Pietatis kommen wir so immer wieder zusammen. Im Gebet und im Tun des Gerechten.
So verändern wir als Christinnen und Christen diese Welt im Maße Gottes. Amen!"