Niveauvolle literarische Liebeserklärung an Buir

Appetitlich angerichtet waren an diesem Septemberabend in Buir nicht nur die Häppchen und Kanapees: Eine herbstlich warme Atmosphäre empfing die ca. 60 Zuschauer am 25.09.2009 im Evangelischen Gemeindehaus in Buir.
Und so abwechselungsreich und delikat wie die leiblichen Kostproben, war auch das Programm "Buir Literatuir" angerichtet: Texte und Gedichte, die nicht nur gelesen, sondern (vor)gelebt, gespielt und uminterpretiert wurden, unterbrochen von schwungvollen Jongliereinlagen, musikalischen Darbietungen und anderen Kunststückchen.

Diese gelungene "Koproduktion" des Vereins Buirer für Buir unter der künstlerischen Leitung von Norbert Heinen präsentierte mit 25 Akteuren ein Programm über die Liebe zu Buir, den Menschen, die hier leben und dem Wahnsinn, der Buir bevorsteht.
Passend dazu der Text "Die Liebe und der Wahnsinn", der von Achim Schloemer vorgetragen wurde. Der Wahnsinn stach der Liebe, die sich im Rosenstrauch versteckt hatte, die Augen aus, so dass sie blind wurde und der Wahnsinn sie von da anständig begleitete, um sein Missgeschick wieder gut zu machen.

Vorher jedoch hatte der Abend mit einer posthumen Verneigung vor Picca Nonn begonnen. Er selbst und seine Gedichte hatten die Initiative Buirer für Buir gerade in den Anfängen immer ermuntert und unterstützt, für den Erhalt der Lebensqualität und die Pflege und Bereicherung des kulturellen Lebens einzutreten.

 
Foto: Hubert Perschke

Picca Nonn schildert als Repräsentant der älteren Generation in seinen Gedichten, die von Tine und José Nonn sowie Natalie Heimann, Dorothee Dahmen und Detlef Neumann vorgetragen wurden, wie Buir im Laufe der Zeit immer mehr bedrängt wurde und wird: Militärflughafen Nörvenich, Rheinbraunbagger, Schnellbahntrasse der Bundesbahn und in Zukunft auch noch durch Autobahn und Kohlebahn und Tagebau. Er schrieb von den Menschen, die sich trotz allem nicht kleinkriegen lassen, vom Singen der Chöre gegen den anrückenden Lärm der Bagger und geht sogar so weit, dass er dem Buirer in seinem Gedicht "En Buir" an der Himmelspforte eine Bevorzugung zuspricht: "Dann mäht der Petrus janz weg op die Himmelsdür - Un sät: Komm du eren - denn du küs jo us Buir."

 
Foto: Hubert Perschke

Die "Klüttenjonglage" der Jongleurgruppe Ballamabel leitete über zu Texten, die die Buirer Lebens -und Empfindungssituation passend schilderten. Texte von Helmut Heimann, Mechthild Denecke und anderen Buirern , die damit Ihre Betroffenheit zu verarbeiten suchen wie Sigrid Heerden, Peter Abels und Norbert Heinen, wechselten sich ab mit Texten von bekannteren Autoren wie Eichendorff, Roth und Endrikat bis hin zu Mandela.

Der Appell "Hochverehrter Stromverbraucher" an alle Stromkunden doch genauer hinzuschauen, was da oben von Politik und Energiereisen als Wahrheiten ausgegeben wird, wurde vom Publikum ebenso begeistert aufgenommen wie der "Energiemix". Aus einem rhythmisch gesprochener Buchstabensalat: NRW--RWE--NRR--RRR--hörte man die Nähe von Landespolitik und Konzerninteressen heraus, von Jandl hieß es dazu ...geht es immer so weiter...und als drittes Sprachband folgte ein Werbetext von RWE, der die Vorzüge des Konzerns preist. Die grauen Herren aus Michael Endes Momo, die uns allen die Zeit stehlen, hatten verblüffende Ähnlichkeit mit den Herren, die den Buirern das Leben schwer machen und auf einer parallel laufenden Bilderprojektion beim "Spatenstich" zur A 4 zu sehen waren.

 
Foto: Hubert Perschke

Das Programm war auch gespickt mit Seitenhieben auf die Politiker und Ratsherren. Ein Beispiel lieferte die Betroffenheit der Buirer Bürgerin Sigrid Heerden, die Politik von da oben als "Verdummung mit Geschick" entlarvte, Plakate an Bauzäune hängt mit der Frage : Warum? und auch Antworten lieferte: "das haben die Volksvertreter von Kerpen getan, ihr wollt wohl nur die Grundstückssteuer...".

Ein anders Beispiel bot Achim Schlömers vorgetragenen Adaption des Liedes "Ich liebte ein Mädchen in..." (Von Insterburg & Co.), welches an mehreren Passagen vom begeisterten Publikum durch spontanen Applaus unterbrochen wurde (z.B.: Ich liebte ein Mädchen in Manheim, doch Lonie brachte den falschen Mann heim!).

Gotthard Vaassen überraschte indem er mit Pompons in den Farben der klassischen politischen Parteien experimentierte und dabei deren (hohle) Wahlkampfplakataussagen für die Bundestagswahl skandierte.

Die Idylle Joseph von Eichendorffs "Nach Haus", eine sternklare Nacht mit wogenden Ähren und rauschenden Wäldern, zeriss Norbert Heinen mit seine Bearbeitung: es rauschte kein Wald mehr, kein Platz der Seele Flügel zu geben, nach Haus zu fliegen, sondern ein abstoßender Ort, an dem die Stille aufhört zu sein.

Eindrucksvoll inszeniert war auch eine Schlüsselszene aus dem Erörterungstermin vor 3 Jahren im Medio Rheinerft in Bergheim. Eine eiskalt agierende Vorsitzende, die die verzweifelte Bitte, die Stille in Buir doch nicht sterben zu lassen, in einer Zusammenfassung mit Punkt Komma Strich zu einer Nichtigkeit degradierte, die für das ganze Verfahren und die Art und Weise, wie mit den betroffenen Bürgern verfahren wurde, stellvertretend war.

Mit seinem "RWEngel" griff N. Heinen nochmals die Konzern-Interessen an: Die so freundliche herbeigerufenen dummen, süßen Braune-Kohle-Schafe wurden, nachdem sie allen Lärm und Feinstaub ertragen hatten auch noch ins Loch geschickt und ertränkt, auf dass ihnen ein Licht auf(s) gehe!

Nun folgten Texte, die Mut machen sollten, sich nicht klein zu machen, ein Nein zu wagen oder wenigsten mit "Grazie" auszuhalten wie der Großstadtbaum von Fred Endrikat.

Ein weiterer Höhepunkt nach der Pause: Das Diätlied von Robert Gerhardt. Helga Freihoff und Norbert Heinen stellten ihr Geheimrezept zum Durchhalten von Diäten vor: Eiserne Disziplin. Hier behielt die Weiblichkeit die Oberhand; riss ihrem Partner Gorgonzola und Rotwein sprachlich aus dem Mund. Ein herrlicher Wechsel aus wollüstiger Kulinarik und strenger Selbstkasteiung.

Besonders anrührend war die illustrierte Geschichte einer (falschen) Prinzessin von der Autorin und Künstlerin Mechthild Denecke selbst gelesen, mit dem Fazit: Sprecht miteinander, so bleibt ihr Menschen.

Foto: Hubert Perschke 
Foto: Hubert Perschke

Pfarrerin Irene Weyer zeigte sich als Vortragende selbst überrascht: " Wie viele Texte es doch gibt, die auf unsere Lebenssituation hier in Buir so gut passen."

Wehmut kam bei der abschließenden Live-Musik von Ludw!ch und Hippenstiel auf. Während Hippenstiel zu dem musikalischen Schluss "Wir sind doch nicht wichtig" kam, präsentierte die Mundartband Ludw!ch im leider letzten Auftritt der Band in dieser Zusammensetzung Texte wie "Dat bronge Gold" und Textpassagen wie "Et jibt Sachen hier in Buir und die stellen wir an den Pranger".

Das Publikum bedankte sich mit viel Applaus und dem Wunsch nach einem neuen "Buir Literatuir" - Programm im nächsten Jahr.